Station 5: Porajmos

Andrea Sailer
Nicht alle Brüche heilen
Eine zerbrochene Radachse. Das ist kein bequemes Symbol für unser Leben. Und dennoch ein zutiefst wahrhaftiges. Es erzählt vom steten Unterwegssein, spiegelt die Unweigerlichkeit von Abschied und Ankunft, Bleibenwollen und Weitermüssen als einzig dauerhaften Parameter des menschlichen Seins. Es steht für alle Reisen, die wir machen oder von denen wir nur träumen, und ebenso für alle Pannen und Hindernisse, die uns immer wieder aufhalten. Spielt es eine Rolle, dass die kaputte Achse zu einem Güterwaggon gehört? – Durchaus.
Zu allen Zeiten wurden Menschen wie Güter, also leblose Waren, unbeseelte Dinge, kreuz und quer über den Erdball bewegt. Das geschah und geschieht auch heute noch längst nicht immer aus Freiwilligkeit oder Freude. Ob beschwerlicher Fußmarsch, Deportation in Zügen oder Irrfahrten auf Booten, nur zu oft steckt dahinter Vertriebenheit und Flucht. Es ist eine Urangst in uns Menschen: die Angst, nicht willkommen zu sein, keinen Platz zu haben, nur wahrgenommen zu werden als Eindringling, Bedrohung oder Last. Und es ist eine Ursehnsucht, einen sicheren Ort zum Leben zu haben, an einer Stelle bleiben zu dürfen, Heimat zu finden, sich zuhause zu fühlen.
Jeder von uns ist zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens ein – ja – „Flüchtling“. Denn wir alle erleben Zeitspannen, in denen wir vor etwas flüchten. Wollen oder müssen. Ob Krisen, Krankheiten, Arbeitsverlust oder einfach nur das Alter: wir fechten auch an friedlichen Orten beizeiten heftige Kriege aus, nicht selten mit uns selbst. Und dabei entstehen Brüche, die heilen können, und andere, an denen wir zerbrechen. Darauf haben wir letztlich keinen Einfluss. Wohl aber auf das Schicksal anderer, denen Ähnliches widerfährt.
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